Einführung in die Pesso-Psychotherapie -
Ausbildungskonzept
übersetzt von Barbara Fischer-Bartelmann
1. Warum eine körperorientierte Psychotherapie?
Neueste Forschungsergebnisse sowohl über Emotionen, Gedächtnis und
Hirnfunktionen wie auch über die Folgen körperlicher und sexueller
Traumatisierung weisen darauf hin, dass sich psychologische Störungen im Leben
sowohl als mentale Repräsentationen als auch als Körpererfahrungen,
Körperempfindungen und motorisches Verhalten manifestieren. Dies erklärt das
wachsende Interesse von Klienten und Therapeuten an solchen Behandlungsformen,
die die Informationen des Körpers in einer professionellen und methodischen
Weise einbeziehen (Damasio 1999, van der Kolk 1996).
Viele psychologische Probleme können als Folge der mangelhaften Befriedigung
von Entwicklungsbedürfnissen in der frühen Kindheit verstanden werden. Das
Bedürfnis nach Nahrung, Unterstützung, Schutz, Begrenzung und nach dem Gefühl,
einen Platz in der Welt zu haben, muss sowohl konkret als auch symbolisch in
der richtigen Altersstufe und im Rahmen der richtigen Verwandtschaftsbeziehung
erfüllt werden, in angemessenen Interaktionen, die zum Bedürfnis eine
"Passform" bieten. Bleiben diese Interaktionen aus, kann das Kind nicht
ausreichend zu seinem wahren erwachsenen Selbst heranreifen, da es auf drei
Ebenen unter schädigenden Folgen leidet: biologisch, psychologisch und
existenziell. Das Ziel der Psychotherapie sollte es sein, den Menschen dabei
zu helfen, wieder zu entdecken und zu verwirklichen, wer sie wirklich sind,
ihr Bewusstsein zu erweitern, ihrem Körper als verlässlicher
Informationsquelle zu vertrauen, ihre Emotionen in sicherer Umgebung
auszudrücken - und darüber hinaus mit positiven Erwartungen in ihr weiteres
Leben zu blicken, indem sie sich auf alternative neue, leiblich-seelisch
verankerte Erinnerungsbilder von befriedigenden Interaktionen stützen
können. All dies erfordert eine gründlich ausformulierte körperorientierte
Psychotherapie.
2. Warum Pesso-Therapie (Pesso Boyden System Psychomotor
PBSP)?
Pesso Boyden System Psychomotor (Pesso-Therapie) integriert Prinzipien
psychodynamischer, kognitiv-verhaltenstherapeutischer und systemorientierter
Ansätze mit einer klientenzentrierten Haltung in eine Gesamtphilosophie. Diese
umfassende Methode wird untermauert von den neuesten Forschungsergebnissen zur
psychologischen und körperlichen menschlichen Entwicklung. Sie ermöglicht es
den Klienten, ihrem Bedürfnis nach Erfüllung alter Sehnsüchte aus Entbehrungen
in ihrer psychologischen Entwicklung nachzukommen. Informationen und
Erfahrungen aus Geist und Körper werden unter Anwendung wohl definierter
Prinzipien und Techniken genutzt und dem Klienten in einer Weise angeboten,
die ihm durchgehend die Steuerung des therapeutischen Prozesses ermöglicht.
Albert Pesso und Diane Boyden-Pesso haben Pesso Boyden System Psychomotor
(Pesso-Therapie) seit 1961 entwickelt. Ihr integrierter Ansatz erwächst teils
aus ihrer Erfahrung als Tänzer, Tanzlehrer und Choreographen, teils aus ihrem
umfassenden Wissen über psychodynamisches Arbeiten. Während ihrer Arbeit mit
professionellen Tänzern entdeckten sie, dass deren Unfähigkeit zur Ausführung
bestimmter Ausdrucksbewegungen häufig mit unterdrückten Emotionen in ihrer
Lebensgeschichte zusammenhing. Die Entwicklung therapeutischer Übungen, die
diesen Tänzern den bewussteren Umgang mit diesen Emotionen ermöglichen sollte,
war der Beginn einer neuen Form der Psychotherapie.
Die Methode wurde in der Arbeit mit psychiatrischen Patienten am McLean
Hospital und dem Veterans Administration Hospital in Boston
weiterentwickelt. Nach 15 Jahren Erfahrung sowohl mit therapeutischen Gruppen
als auch mit Workshops für professionelle Helfer hat sich Albert Pesso seit
1977 vor allem der Ausbildung von Psychotherapeuten in den USA und Europa
gewidmet. Zusätzlich zu Ausbildungsprogrammen in acht Staaten der USA bietet
Albert Pesso zusammen mit Dr. Liesbeth de Boer, Dr. Tjeerd Jongsma, and
Dr. habil. Lowijs Perquin Ausbildungskurse in der Schweiz, Deutschland, den
Niederlanden, Norwegen, Dänemark und der Tschechei an.
3. Wie funktioniert Pesso-Therapie (Pesso Boyden System
Psychomotor PBSP)?
Übungen
Zur Vorbereitung der Klienten gibt es eine Serie von Übungen, die ihnen
helfen, sensorisch-motorische und emotionale Informationen
wahrzunehmen. Körperliche Beschwerden und Symptome werden von entfremdeten
Phänomenen zu wertvollen Informationsquellen. Die Übungen befördern den
Gruppenzusammenhalt, indem sie sowohl individuellen Unterschieden Raum geben
als auch ein Bewusstsein für universell menschliche Bedürfnisse schaffen. Das
einzigartige Übungsformat bestärkt die Hoffnung, dass Veränderung möglich
ist. Die Gruppenmitglieder werden darauf vorbereitet, "Akkommodation"
auszuführen, eine für die Pesso-Therapie charakteristische Form der
Rollenübernahme. Die Technik der "Polarisierung", in der verschiedene
Akkommodatoren getrennt negative und positive Aspekte derselben historischen
Person darstellen, hilft bei der Entwirrung von Ambivalenz-Konflikten. Die
Methode bietet Klienten eine einzigartige Gelegenheit, ein breites Spektrum an
Gefühlen von tiefster Trauer zu unbändigem Hass in einem sicheren begrenzenden
symbolischen Kontext zu durchleben.
Strukturen
Eine Struktur ist eine individuelle therapeutische Arbeit im Kontext einer
Gruppe, die unter Mitwirkung und mit Unterstützung der anderen
Gruppenmitglieder stattfindet. Der Therapeut hilft dem Klienten, indem er
empathisch auf affektiven Ausdruck, Körperzustände, verbale Äußerungen,
zentrale Glaubenssätze und verinnerlichte Ver- und Gebote achtet und diese
Informationen dem Bewusstsein des Klienten zugänglich macht. Der innere
geistig-körperliche Zustand, der "innere Bildschirm", wird im Außen mit Hilfe
der Gruppenmitglieder abgebildet, die als Akkommodatoren in klar definierten
Rollen beispielsweise verbietende innere Stimmen oder unterstützende
Funktionen darstellen. Diese äußere Bühne, die in der Arena des Gruppenraumes
erzeugt wird, erleichtert die emotionale Reaktivierung unerledigter Konflikte
aus den frühen lebensgeschichtlichen Entwicklungsphasen. Der tatsächliche
Ausdruck der Körperempfindungen in Interaktion mit Rollenspielern, die
historische Figuren darstellen, hilft dem Klienten, stagnierte Emotionen zu
prozessieren und über unerfüllte Bedürfnisse und traumatische Erlebnisse zu
trauern. Zusätzlich achtet der Therapeut auf die proaktiven Bemühungen des
Klienten, diejenigen Erfahrungen herzustellen, die zur Heilung notwendig
wären. Der Klient entwirft die "Choreographie" derjenigen Gruppenmitglieder,
die die Rolle der ersehnten fürsorglichen Figuren übernehmen. Sie bieten
alternative symbolische Interaktionen, die ein Gegengewicht zu den
historischen Ereignissen darstellen. Obwohl diese korrigierende Erfahrung in
der Gegenwart stattfindet, wird sie so erfahren und als Erinnerungsbild
gespeichert, als ob sie tatsächlich in der Vergangenheit stattgefunden
hätte. Aus diesen befriedigenden symbolischen Interaktionen - dem "Antidot" -
integriert der Klient neue sensorisch-motorische, kinästhetische und
auditiv-visuelle Erinnerungen, die in Assoziation mit den ursprünglichen
Eindrücken gespeichert werden. Die Verfügbarkeit dieser alternativen
synthetischen Erinnerungen erzeugt realistischere Perspektiven des Selbst und
anderer Menschen und fördert hoffnungsvollere Erwartungen und
Verhaltensweisen, was im gegenwärtigen Leben zu mehr Wohlbefinden,
Befriedigung, Bedeutungsgehalt und Verbundenheit führt.
4. Für wen ist Pesso-Therapie geeignet?
- für jeden, der in seinem Leben mehr Wohlbefinden, Befriedigung,
Bedeutungsgehalt und Verbundenheit finden möchte.
- für jeden, der Interesse daran hat, die eigenen persönlichen Ressourcen
zu entdecken und sein Potential und sein Spektrum an interpersonalen
Talenten zu erweitern..
- für Menschen, die den Zusammenhang zwischen Körper und Seele tiefer
verstehen wollen..
- für Menschen, die zu Rationalisierung, Somatisierung und Abspaltung von
Gefühlen und Emotionen neigen..
- für Klienten, die sich in einer rein verbalen Therapie nicht
ausreichend aufgehoben fühlen..
- für Klienten, die unter den Folgen von elterlichem Verlust oder
Vernachlässigung leiden und für die das sichere therapeutische Klima
und die Achtsamkeit im Umgang mit Grenzen besonders wichtig ist..
- für Klienten, die körperlich oder sexuell traumatisiert worden sind und
eine sichere therapeutische Methode suchen, die in vorsichtiger Weise
den Körper einbezieht und unter beständiger Achtung der Autonomie des
Klienten und ohne jeden Druck besonderen Wert auf den Ausdruck von
Emotionen und auf die Ich-Integration legt..
Voraussetzung für die Arbeit mit PBSP ist die Fähigkeit, zwischen symbolischer
Erfahrung und Realität zu unterscheiden.
5. Wer kann am ersten Ausbildungsjahr teilnehmen?
Wenn Sie den Wunsch haben, Ihr psychotherapeutisches Repertoire zu erweitern,
indem Sie körperbezogene Aspekte in Ihre tägliche Arbeit einbeziehen (sowohl
im Einzel- als auch im Gruppensetting), können Sie am ersten Jahr der
PBSP-Ausbildung als einem unabhängigen Modul teilnehmen. Sie bringen die
Bereitschaft mit, die relevante Ausbildungsliteratur durchzuarbeiten, an
örtlichen Intervisionsgruppen teilzunehmen und eigene therapeutische Arbeit
zur Supervision zu zeigen.
Für den Fall, dass Sie anschließend mit der Fortgeschrittenen-Ausbildung
(zweites und drittes Ausbildungsjahr) fortfahren möchten, dient dieses erste
Jahr als Vorbereitung. Alle drei Ausbildungsjahre zusammengenommen bilden den
Weg zur Anerkennung als Pesso-Therapeut durch die nationale Pesso-Vereinigung
und entsprechen internationalen Standards.
6. Ziele des ersten Ausbildungsjahres
Das Ziel des ersten Ausbildungsjahres ist es, Sie mit den grundlegenden
Prinzipien von PBSP vertraut zu machen, Sie mit der Einbeziehung des Körpers
in die Psychotherapie bekannt zu machen und Ihr Wissen und Bewusstsein über
nonverbale Aspekte der Kommunikation in einem verbalen psychotherapeutischen
Setting zu erweitern.
- Sie werden darin ausgebildet, PBSP-Übungen im Gruppenkontext und in
Einzelsitzungen anzuwenden..
- "Strukturen", d.h. individuelle therapeutische Arbeit im Rahmen der
Ausbildungsgruppe, haben im ersten Jahr das erfahrungsbezogene Ziel,
die je eigenenen Ressourcen zu erschließen..
- Sie werden darin ausgebildet, ein sicheres therapeutisches Klima zu
schaffen, in dem sich die Gruppenmitglieder respektiert fühlen und in
dem diese die Möglichkeit haben, mit ihren ungelebten Anteilen zu
experimentieren und sie zu entdecken..
- Sie lernen, wie Sie Klienten dabei unterstützen können,
Körperempfindungen und -impulse wie z.B. Veränderungen in Stimme,
Gesichtsausdruck, Körperhaltung und Bewegung als wichtige
Informationsquellen zu nutzen..
- Sie werden darin ausgebildet, wie Sie den beobachtenden, integrierenden
und selbststeuernden Teil des Ichs des Klienten (den "Piloten") in der
Arbeit aktivieren und stimulieren..
- Sie erhalten Unterstützung bei der Nutzung Ihrer eigenen
Körperwahrnehmung als Informationsquelle therapeutischen Wissens über
den Prozess des Klienten..
Die Ausbildung ist Übungs-orientiert:
- Demonstrationen unterstützen das Verständnis theoretischer Einführungen.
- Neue Interventionen und Übungen können auf technischer und auf der
Erfahrungsebene angeeignet werden.
- Sie erweitern Ihre therapeutische Erfahrung durch praktisches Üben in
Zweiergruppen und Kleingruppen mit KollegInnen.
- Video-Feedback, Supervision durch die Ausbilder, Fallbesprechungen und
die Verarbeitung des Gelernten in Intervisionsgruppen sind Elemente der
Evaluation des eigenen Lernprozesses.
Die Ausbildung beinhaltet
- Drei Ausbildungsseminare unter Leitung international anerkannter
PBSP-Ausbilder, in der Regel zwei dieser Blöcke geleitet von Al Pesso
(13 Ausbildungstage).
- Intervisionsgruppe zur Umsetzung des Erlernten mit
AusbildungskollegInnen (3 Tage).
- Leitung einer eigenen Gruppe mit PBSP-Übungen (Videoaufnahmen) (6 bis 8
Abende).
- Literaturstudium (ca. 400 Seiten) Sie schließt mit einer individuellen
Evaluation auf der Basis der gezeigten Video-Ausschnitte ab..
7. Wer kann am zweiten und dritten Ausbildungsjahr
teilnehmen?
Sie haben eine klare berufliche Identität als Psychotherapeut und bringen eine
abgeschlossene Therapieausbildung mit. Sie haben das erste Jahr der Ausbildung
erfolgreich abgeschlossen. Sie sind motiviert, sich als PBSP-TherapeutIn
ausbilden zu lassen und Strukturgruppen zu leiten. Sie möchten Ihre
therapeutischen Fähigkeiten weiter ausweiten, indem Sie körperbezogene Aspekte
in Ihre reguläre Arbeit einbeziehen. Sie sind bereit, die relevante
Ausbildungsliteratur durchzuarbeiten, an einer regionalen Intervisionsgruppe
teilzunehmen und Videoaufzeichnungen Ihrer therapeutischen Arbeit zur
Supervision mitzubringen.
8. Ziele des zweiten und dritten Ausbildungsjahres:
Das Ziel des zweiten und dritten Ausbildungsjahres ist es, das Verständnis der
grundlegenden Prinzipien von PBSP zu vertiefen. Sie lernen, wie Sie dem
Klienten dabei helfen können, seine Emotionen in bewusster Weise zum spontanen
Ausdruck kommen zu lassen und befriedigende und angemessene Interaktion durch
die Rollenspieler zu erfahren. Sie werden in die Lage versetzt, zusammen mit
einen Kollegen eine PBSP-Strukturgruppe zu leiten.
Das Ausbildungscurriculum entspricht den internationalen
Ausbildungsrichtlinien. Der Abschluss der Ausbildung erlaubt den Zugang zur
Mitgliedschaft in der Nationalen Vereinigung für PBSP Psychotherapie, eine
Zertifizierung führt zur Anerkennung als PBSP-TherapeutIn auf internationaler
Ebene.
- Sie werden systematisch darin ausgebildet, die Schritte einer
therapeutischen Sitzung (Struktur) durchzuführen. Während der
Ausbildungstage üben die Teilnehmer, Abschnitte einer Struktur in
Zusammenarbeit mit oder unter Live-Supervision durch die Ausbilder zu
leiten. Video-Ausschnitte von Strukturen werden mit der
Ausbildungsgruppe besprochen, um deren technische und theoretische
Fragen zu beantworten..
- Zwei weitere Strukturen als Selbsterfahrung werden während der
Trainingstage durch die Ausbilder geleitet. Der Inhalt dieser
Strukturen wird zu Lernzwecken von Ausbilder und Gruppe besprochen..
- Sie lernen, wie Sie Aufnahmegespräche für eine PBSP-Gruppe führen, wie
Sie für die Entwicklungsgeschichte und damit für die Pesso-Arbeit
relevante biographische Informationen erheben, wie Sie mit dem Klienten
einen Behandlungsplan entwerfen und wie Sie die Methode in einer neuen
Gruppe einführen..
- Sie werden darin ausgebildet, eine Eröffnungsrunde zu leiten, mit
Gruppendynamik umzugehen, die Klienten bei der Umsetzung ihrer
therapeutischen Erfahrungen in den Alltag zu unterstützen und den
therapeutischen Prozess regelmäßig zu evaluieren..
- Die Selbsterfahrungs-Workshops, regelmäßige Treffen mit Ihrer
Intervisionsgruppe und die Leitung einer eigenen Therapiegruppe unter
Supervision werden zur Vertiefung des Gelernten in der Praxis
beitragen..
- Im letzten Ausbildungsblock werden Sie eine Video-Aufzeichnung einer
Strukturarbeit zeigen. Aufgrund dessen gibt es eine
Abschluss-Evaluation..
Diese beiden Ausbildungsjahre beinhalten:
- sechs Ausbildungsseminare unter Leitung international anerkannter
PBSP-Ausbilder, in der Regel vier dieser Seminare geleitet von Al Pesso
(insgesamt 28 Tage).
- zwei oder drei Selbsterfahrungsworkshops in einer Strukturgruppe der
AusbildungsteilnehmerInnen (6 Tage).
- Intervisionsgruppe (6 Treffen).
- Leitung einer eigenen Struktur-Gruppe (Videoaufnahmen) (40 Sitzungen).
- individuelle Supervision (30 Stunden).
- Literaturstudium (ca. 600 Seiten).
Sie schließen mit einer individuellen Evaluation auf der Basis der gezeigten
Video-Ausschnitte ab, die im Rahmen eines viertätigen Abschlussworkshops
stattfindet.
Anbieter von Ausbildungen im
deutschsprachigen Raum finden Sie
hier.