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Pesso-Bulletin > Editorial 11

Wege und Irrwege der Liebe

Liebe Leserin, lieber Leser,

Wie andere entwicklungsorientierte Formen der Psychotherapie befasst sich auch die Pesso-Psychotherapie mit den Störungen, die ihren Ursprung eigentlich in der Vorgeneration haben: Frustrationen, welche die Eltern in ihren Grundbedürfnissen (sich wesensgemäß entfalten zu können) erlitten haben, spielen in der Wahrnehmung und in der Liebe dieser Eltern zu ihren Kindern eine maß-gebende Rolle. Das entsprechend begabte Kind gerät auf dem Entwicklungsweg zu sich selbst unmerklich in eine beelternde Rolle gegenüber seinen Eltern, mit deren Kindheitsverwundungen und Erfahrungslücken ("holes") es mitfühlt. Eine solche Rollenübernahme, vor allem im Dreieck mit zwei bedürftigen Elternteilen, kann im Jugendlichenalter zu schweren psychischen Erkrankungen führen. Später lenken die in der Kindheit übernommenen, überfordernden Rollen (sowie der unbewusste Wunsch, davon befreit zu werden) den Menschen auch in seinen Liebeserwartungen in der erwachsenen Partner-Beziehung.

Barbara Fischer-Bartelmann erläutert in ihrem heutigen Beitrag verschiedene Formen von reinszenierter Kindheitserfahrung und von entsprechender Hoffnung auf Befreiung und Weiterentwicklung in der Paar-Beziehung. Sie setzt damit ihren Beitrag über die theoretischen Konzepte der Imago-Therapie von Harville HENDRIX, erschienen in PESSO BULLETIN 7/8 2003, fort.

Besonders spannend für uns Pessotherapeuten sind ihre Quervergleiche mit den verschiedenen Formen von Projektion auf die Gegenwartsbeziehung, die Albert Pesso unterscheidet, und die Arbeitsmöglichkeiten, die sich aus dem psychomotorischen Verständnis dieser Paardynamiken ergeben.

Im Hauptbeitrag der heutigen Ausgabe, ebenfalls von Barbara Fischer-Bartelmann, in Zusammenarbeit mit Almuth Roth-Bilz verfasst, wird das "Holes in Roles"- Konzept, die Mehrgenerationen-Struktur, als einer der drei von Diane und Albert Pesso entwickelten Heilungswege, beschrieben - erstmals in einer Zusammenfassung auf Deutsch. Die Psychomotorische Inszenierung öffnet einen eigenen Zugang zur Mehrgenerationen-Perspektive und damit zu den schwer zugänglichen Lücken in der Selbstentwicklung, die eben mit der Übernahme einer emotionalen Eltern-Rolle für die Eltern in der Kindheit zusammenhängen. Auch wenn sie sich als unfrei und fremdverschrieben anfühlt, wird die Rolle nicht als solche erkannt, denn sie ist zum festen Bestandteil der Persönlichkeit geworden und fußt auf echten Fähigkeiten. Allerdings kam dieses Potential im Interesse des Familienganzen zu einem Zeitpunkt zum Einsatz, als das Kind seinerseits in den Genuss eines solchen elterlichen Potentials hätte kommen sollen.

Ein wichtiger Unterschied zu andern Mehrgenerationen-Methoden sei gleich vorweggenommen: In der Holes in Roles- Struktur wird zwar auch die Systemordnung wieder hergestellt, indem geschuldete Liebe "nachgeliefert" wird, aber die Loyalität zu den Eltern wird eingelöst, indem das Fehlende aus der genealogisch zuständigen Generation herbeigeholt und das Kind bewusst aus einer ihm nicht zustehenden Position entlassen wird. Pesso erfasst die vom Kind übernommene "Schuldigkeit" ebenso sehr in ihrer deformierenden Wirkung auf sein noch im Entstehen begriffenes inneres System und bringt den Protagonisten mit den natürlichen Ressourcen (im genetischen Gedächtnis) in Kontakt, die das Herkunftssystem ihm schuldig geblieben ist. Dadurch gelingt die Entfaltung des Wahren Selbst und die Befähigung, den andern Menschen wahrzunehmen wie er wirklich ist, und zu lieben ohne sich selbst dabei aufzugeben.

Redaktion P E S S O-BULLETIN


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